Chorprobe
Ein Roman von Sabine M. Gruber
Da ist Musik drin, viel Musik!
Aber eben nicht nur… Der Roman, der sich intensiv mit dem Innenleben eines klassischen Chores befasst, ist kein heiteres Lesestück, oder nicht nur. Es gibt einige Szenen in diesem Roman, über die man durchaus lachen könnte, wenn, ja wenn einem das Lachen dann nicht doch vergehen würde, weil man den bitteren Beigeschmack spürt. In dieser Buchreise geht es erst nach Wien, dem Chorstandort, und weiter nach Japan und Südkorea und zurück.
In der Buchbeschreibung des Verlags heißt es: „Seit Jahren schon nimmt Cindy Gesangstunden. Da bekommt sie die Chance ihres Lebens: Eine Einladung zum Vorsingen beim charismatischen Leiter des berühmten Chorus, Wolfgang G. Hochreither alias: Wolf. Cindys Wunsch wird wahr. Doch die Wirklichkeit hat wenig Ähnlichkeit mit ihrem Traumbild. Cindy taucht ein in ein Wechselbad der Gefühle. Sie erlebt Menschlichkeit und beglückende musikalische Momente auf Konzertreisen mit dem Star-Dirigenten Viktor von Weiden. Zugleich ist sie, wie alle anderen im Chorus, dem Terror und der Willkür des egomanischen Wolf ausgeliefert…“
Mit wenig Selbstbewusstsein ausgestattet, deutlich zu merken im Dialog mit der Mutter, kann Hauptfigur Cindy kaum glauben, dass sie in diesen hochkarätigen und berühmten Chor aufgenommen wird. Sie ahnt noch nicht, wie sehr der Spitzname Wolf zum Chorleiter passt und noch weniger seine Hintergedanken bei ihrer Bewerbung. „Was ist da los im Chorus“? Viele Andeutungen ergeben zunächst ein mulmiges Bauchgefühl. Mit und mit wird Cindy klar, in welches Netz von Macht und damit verbundener Abhängigkeit die meisten der Choristen/innen verstrickt wurden und werden. Subtil und unangenehm, so kommt es rüber und man möchte gerne rufen, Vorsicht jetzt, der geht zu weit… Doch jede/r schaut weg, so gut und solange es geht. Es bedeutet viel zu viel, bei Chorreisen in alle Welt dabei zu sein, eine CD mit aufzunehmen und auf der Bühne einen Hauch Berühmtheit zu spüren. Und die Geschichten, die untereinander still und leise kolportiert werden? Nun ja, vielleicht sind sie ja doch ein wenig übertrieben, oder da war jemand aber sehr empfindlich. So oder ähnlich lauten die Formeln zur Selbstberuhigung. Doch der Chorleiter verbreitet mit seiner Willkür immer wieder so lange Angst unter den Chorist/innen, bis sie sich völlig ohnmächtig und klein fühlen. Er führt Einzelne bewusst vor und beruft sich auf die für den berühmten Chor notwendige Musikalität und das Engagement. „Trotz zugeschnürter Kehlen werden sich manche verzweifelt bemühen, das Unmögliche möglich zu machen – und erwartungsgemäß scheitern.“, schreibt Sabine Gruber. Da schnürt es auch den Leser/innen kurzfristig den Atem ab. Und Cindy gerät immer mehr in die Enge. Sie kann die zunehmend erotischen Avancen ihres Chorleiters kaum mehr verleugnen und sich noch weniger wehren. Da begegnet sie Emil. Haben andere Chorromane häufig romantische Züge, so wartet man darauf hier vergeblich, zunächst jedenfalls. Doch im letzten Drittel des Buches erscheint ein Neuzugang, ganz ohne Chor, auf einer Bank im Park von Schloss Schönbrunn. Der Rest wird nicht verraten.
Mit einer der Sängerinnen, der Chronistin des Chores, freundet Cindy sich an. Aurelia sammelt alles, was mit dem Chor zusammenhängt. Sie erstellt jährlich einen neuen Chronikband, der für die Nachwelt bestimmt ist. Für den von nicht unerheblicher Eitelkeit geprägten Chorleiter Wolf ist die Chronik ungeheuer wichtig, allerdings liest er sie nicht. Er vertraut auf seinen Einfluss und seine Macht. Nie kontrolliert er, ob seine Anweisungen tatsächlich befolgt werden. Hat Aurelia unliebsam gewordene Ereignisse und Personen entfernt, hat sie korrigiert, was dem Ruf abträglich sein könnte, hat sie den Erfolg genügend gewürdigt und hat sie vor allem seine Person ausreichend herausgestellt? Aurelias geheim ausgeübte Zivilcourage ist erst nach und nach spürbar. So merkt man zwar recht schnell, dass die Chronik eine zentrale Rolle spielt – aber welche?
Die Autorin malt Bilder, die zum Teil so kräftig sind, dass man fast meint, sie zu sehen oder gar zu schmecken. Ein Beispiel ist die Beschreibung eines unerwünschten Kusses, der nach Weißwein schmeckt, der zu lange offen im Kühlschrank gestanden hat. Oder bei ihrer Chorreise entdeckt Cindy die Quintessenz der koreanische Küche. Es folgt eine ausführliche und sehr detaillierte Erläuterung zu „Kimchi“. Obwohl es ihr später gut schmeckt, ist ihr und damit auch unser Eindruck erst nur mittelprächtig appetitanregend. Der Autorin geht es nie um Schönfärberei, sie ist deutlich, sie nimmt uns mit in ihren Beschreibungen.
Die Spannung verdichtet sich mit jeder neuen Wendung. Auf 288 Seiten flicht und entflicht die Autorin immer neu Ideen, Assoziationen und Informationen bis zum Schluss. Chorisma, das Magazin des Chorverbandes Düsseldorf beschreibt treffend: „»Psychologisch meisterhaft und vielschichtig analysiert Sabine Gruber am Beispiel eines Chores die Dynamik von Beziehungen und spielt in allen Tonarten menschlicher Gefühle.“
Sabine M. Gruber, 1960 im österreichischen Linz geboren, studierte literarisches Übersetzen und Cembalo in Wien. Als Schriftstellerin schreibt sie ebenso Romane, wie Erzählungen oder Musikessays. Es ist nicht zu überlesen, dass sie langjährige einschlägige Erfahrungen über das vielschichtige Zusammenspiel in Chören besitzt und eine Kennerin der Szene ist.
http://www.sabine-m-gruber.at/ ist die Anlaufstelle für alle, die auf Sabine Gruber neugierig geworden sind. Sie hat auf ihrer Homepage einen reichen Fundus an Informationen zusammengestellt. U.a. geht es in ihren vielen Publikationen sehr um die Musik.
P.S.
Der nicht immer entspannt zu lesende Roman von Sabine Gruber beschreibt eine Seite des Chorlebens, das eher wenig Erwähnung findet, aber nichtsdestoweniger existiert. In einem der Chorleiterbrunchs Anfang des Jahres ging es in der Diskussion auch um Macht und Autorität und der Problematik, damit respektvoll umzugehen. Und es ging um den Wunsch, sich darüber ausführlicher zu verständigen. Vielleicht könnte die „Chorprobe“ dazu etwas beitragen.
Gertrud Krapp
Sabine M. Gruber
Sabine M. Gruber, 1960 in Linz geboren, studierte literarisches Übersetzen (Französisch, Russisch) und Cembalo in Wien; sie schreibt Romane, Erzählungen und Musikessays und lebt als freie Schriftstellerin und Musikpublizistin in Klosterneuburg bei Wien. Im Picus Verlag erschien 2010 ihr Erzählband »Kurzparkzone«, 2012 folgte der Roman »Beziehungsreise« und 2014 »Chorprobe«.
Produktinformation
- Herausgeber : Picus Verlag; 1. Edition (25. August 2014)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 300 Seiten
- ISBN-10 : 3711720137
- ISBN-13 : 978-3711720139