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Draußen Singen: Das Vokalensemble Lux Æterna verbindet Musik & Geschichte

Treff 14.00 Uhr am Bühneneingang der Laeiszhalle, so stand es für den 14. Mail 2023 im Exposé. Ein Stadtspaziergang mit Hamburger Chormusik war angekündigt, der zweite an diesem Wochenende. Und so ging es raus aus den Konzertsälen, Aulen oder engen Räumen. Unter blauem Himmel bei schönsten Hamburger Frühlingstemperaturen standen sechs Stationen in der Hamburger Neustadt auf dem Programm, von der Laeiszhalle bis ins Komponistenquartier. Gemeinsam mit dem Chor unter der Leitung von Christoph Schlechter und der Stadthistorikerin Elke Frey machte sich die Gruppe von Interessierten auf zum Stadtspaziergang.

Der Treffpunkt in der Nähe des Brahmsdenkmals, am Dragonerstall, ist in etwa die höchste Stelle, der sogenannten Neustadt, die im 17. Jahrhundert erbaut wurde. Die Stadt wuchs, die Wallanlagen hatten ihre strategische Bedeutung verloren, so entstand Platz für neue Bauten. Viele Straßennamen weisen noch auf die ursprüngliche Bedeutung hin, z. B. der Valentinskamp – Kamp steht für Feld. Während seiner Zeit in Hamburg hatte der Komponist Händel die Wallanlagen noch in ihrer militärischen Funktion gesehen (Georg Friedrich Händel 1685 – 1759).

Das Ensemble folgte auf die ersten Erläuterungen von Elke Frey. Die Laeiszhalle im Hintergrund begann der musikalische Teil mit Händels Psalm 96 Singt dem Herrn ein neues Lied aus dem Oratorium Josua von 1748, besser bekannt als Adventslied Tochter Zion. Trotz des Verkehrslärms drumherum waren die Sängerinnen und Sänger sehr gut zu verstehen, und die Akustik erstaunlich gut.

Die Route führte weiter durch den Bäckerbreitergang, durch die Speckstraße zum Brahmsdenkmal. Die schmalen Straßen (Gänge) weisen noch darauf hin, wie eng die Wohnverhältnisse seinerzeit waren. Die Häuser sind längst renoviert, bei einigen sieht man drei Haustüren nebeneinander. Durch die Eingänge waren zwar die Wohnbereiche getrennt, aber nur wenig Platz vorhanden. Das Geburtshaus von Brahms stand in der Nähe, an einem Denkmal ihm zu Ehren ging es musikalisch weiter (Johannes Brahms 1833 – 1897).

Chorleiter Christoph Schmelzer erläuterte jedes Stück, so auch Der Falke, Op. 93a, Nr. 5. Naturverbunden sei dieses Stück, der Romantik zugehörig und sehr brahmsig, und was dieses schön greifbare, vielleicht soeben entstandene Adjektiv betraf, war es sehr stimmig. Brahms war mit dem Dichter Klaus Groth aus Heide befreundet, der sich, erfolglos, die Vertonung eines plattdeutschen Gedichts gewünscht hatte. Zwischen Chor und Brahmsdenkmal erfuhr die Gruppe Musikgenuss unter freiem Himmel auf Hochdeutsch.

Zwischen Kohlhöfen und Breiter Gang liegt auf einer Seite ein Park, dort stand eine Synagoge und auf der anderen Seite ist die Hafenschule, dort war ein israelitischer Tempel der fortschrittlicheren Gläubigen. Es war bei der Entstehung der Neustadt den in Hamburg lebenden Juden erlaubt worden, auf 14 Straßen der Neustadt Wohnhäuser zu errichten, später kam das Recht zum Bau religiöser Stätten hinzu. Die nicht weit entfernte Neanderstraße hieß bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhundert Basarstraße und war das Zentrum jüdischen Handels. Auch die Familie Mendelssohn wohnte in der Neustadt (Felix Mendelssohn-Bartoldy 1809-1847; Fanny Hensel, geb. Mendelssohn, 1788-1857)

Ein ungewöhnlicher und weitgehend unbekannter Ort folgte. Christoph Schlechter besaß den Schlüssel zu einem Innenhof an der Poolstraße und zu einem beeindruckenden gesanglichen und historischen Erlebnis. Umgeben von Bauten unterschiedlichster Art, Gärten mit blühenden Fliederbäumen, bildeten die Reste des ehemaligen Tempels die Kulisse für die beiden folgenden Stücke Die Waldvögelein von Felix Mendelssohn-Bartoldy und von Fanny Hensel Lockung aus Die Gartenlieder Op.3 Nr. 1 mit einem Text von Joseph von Eichendorff (1788-1857). Es war für eine Großstadt ziemlich ruhig an diesem Ort, der Platz unter den Resten der Apsis des Tempels für das Ensemble gut ausgesucht die Töne sehr ansprechend, das fanden auch die Vögel ringsherum. Es war schon ein bisschen ergreifend, wie passend sie mit einstimmten. Nach 90 Jahren erklang im letzten Jahr in dieser versteckten Hinterhofruine wieder Musik, als das Vokalensemble im Rahmen des zweiten Aktionstages Aufatmen, am 3. September ein Konzert gab. Projektleiter war Christoph Schlechter, das Chorportal berichtete darüber https://www.chorportal-hamburg.de/2022/09/06/aktionstag-aufatmen/. In der Planung ist ein weiteres Konzert von Lux Æterna diesem Jahr an diesem Ort.

An der Ecke Poolstraße/Kurze Straße wohnte Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) kurze Zeit, sein Bezug zur Musik? Er war Zeit seines Lebens Flötist. Der Name Pool geht übrigens zurück auf den Begriff Pfuhl und entsprechend wird es gewesen sein. Vor dem ehemaligen Polizeigefängnis Hütten am Enckeplatz nahm das Vokalensemble seinen nächsten musikalischen Standpunkt ein. Auch die Polizei benötigte mehr Platz, als die Stadt größer wurde. 1858 entstand das Rotklinkergebäude, das in der Zeit des Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle spielte. Politisch Verfolgte wurden hier festgehalten, ebenso Menschen, die aufgrund der Rassengesetze verfolgt wurden. Dieses Schicksal blieb der Komponistin Felicitas Kuckuck erspart. Sie erfuhr erst als junge Frau von ihren jüdischen Vorfahren, die Eltern hatten den Familiennamen geändert (Felicitas Kuckuck, geb. Kestner 1914-2001).

So passte das kurze Stück von Felicitas Kuckuck, Psalm 126 Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird zu dem Ort, an dem es nun gesungen wurde, dem ehemaligen Gefängnis. Einige Anwohner/innen kannten den Stadtspaziergang wohl schon, ihre Fenster öffneten sich, man grüßte und die starken Stimmen des Ensembles lockten etliche Passanten/innen an.

Vor der Niederdeutschen Bibliothek an der Peterstraße war das Konzert fast schon auf der Zielgeraden. In der Peterstraße sind noch einige authentische Bauten zu sehen, ebenso wie Nachbauten von Bürger- und Kaufmannshäusern, die sich ursprünglich an anderen Orten befanden. Die historische Neustadt hat an dieser Stelle also nicht so ausgesehen, trotzdem entsteht ein typischer Eindruck.

Niederdeutsch war auch das nächste Lied, Fresenhof, Text und Musik von Kurt Kiesewetter (1941-2016). Es bezieht sich auf den Herbst, dieses Lied und passte dennoch in das Ambiente. Im ersten Teil plattdeutsch, gibt es eine Übertragung ins Hochdeutsche von Christoph Schlechter – für alle Fälle.

Im Innenhof des Komponistenviertels endet das Konzert. Umgeben von Museen lohnt sich ein Besuch, und alles dreht sich um Komponisten/innen mit Bezug zu Hamburg, wie z. Bsp. Brahms, die Geschwister Mendelssohn oder auch Carl Philipp Emanuel Bach. Hier gibt es in historischer Umgebung Einblick in ihr Leben zu gewinnen. (Carl Philipp Emanuel Bach 1714-1788).

Groß ist der Herr, so lautet der Titel des letzten Stücks von Carl Philipp Emanuel Bach mit einem Text von Christoph Christian Sturm (1740-1786). Die Zeit war sehr schnell vergangen, das Wetter hatte seine beste Seite gezeigt und noch einmal beeindruckte das Vokalensemble mit seiner musikalischen Qualität. Es war sicher eine große Umstellung hin zum Singen im Freien, aber dieser Mut wird durch den Erfolg belohnt. Es wird hoffentlich noch viele musikalische Spaziergänge mit stadthistorischem Input geben. Der Chorleiter erwähnt noch, dass es vielleicht Pläne für Altona gäbe. Viel Erfolg bei Planung und Umsetzung!

Die Idee zum musikalischen Stadtspaziergang entstand während der Pandemie im letzten Jahr – und sie hatte großen Erfolg. Maximal 25 Menschen können am Konzert im Freien kombiniert mit einer Führung teilnehmen. Sie profitieren von Elke Freys profunden Kenntnissen und ihrer spannenden Darstellung. Dazu kommt das Vokalensemble, das mit starken Stimmen aufwartet und in erstaunlich guter Akustik singen kann. Diese beiden Aspekte ergänzen sich, wie dafür gemacht. Dazu kommt, dass das Konzept in der alltäglichen Umgebung sehr gut funktioniert und die Musik ihre ganz eigene Wirkung neu entfaltet. Viel zu schnell war die letzte Station im Innenhof des Komponistenquartiers erreicht. Viele der spannenden historischen Informationen werden hier nicht erwähnt, die Neugierde auf den nächsten Spaziergang soll unbedingt erhalten bleiben!

Und wer mehr wissen möchte:

Auf der Website des Chores https://ensemble-lux-aeterna.de/ steht alles zu Plänen, zu vergangenen Erfolgen und auch, ob es die Möglichkeit zum Mitsingen gibt. Das nächste Programm steht schon bald an https://ensemble-lux-aeterna.de/vogelperspektive/, es geht hoch hinaus und zurück!

Das Komponistenquartier bietet viele Möglichkeiten, Informationen unter https://www.komponistenquartier.de/ helfen weiter.

Es gibt eine Initiative, die sich um die Zukunft der israelitischen Tempelruine kümmert, unter https://hamburg-tempel-poolstrasse.de/ sind die passenden Informationen dazu.

Gertrud Krapp

Fotos

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