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Musikalischer Stadtspaziergang in St. Pauli – ein a capella Chor und regionale Geschichte on tour

Am ersten Juliwochenende fanden wieder die musikalischen Stadtspaziergänge des Vokalensembles Lux Æterna unter der Leitung von Christoph Schlechter statt, so auch am 5. Juli 2025. Ein bisschen besonders war, dass zeitgleich der Hamburger Schlagermove in St. Pauli unterwegs war, es war also rundherum ziemlich viel los, da hieß es flexibel sein.

Die musikalischen Stadtspaziergänge waren 2022 ein wenig aus der Not heraus entstanden: Die Coronazeit hatte insbesondere Chören böse mitgespielt, Konzerte waren nicht ohne weiteres möglich, wohl aber Treffen unter freiem Himmel. Die erste erfolgreiche Veranstaltung führte in die Hamburger Neustadt und zu weiteren Angeboten – fast schon eine kleine Tradition.

Unterwegs sein mit dem Vokalensemble Lux Æterna und der Stadthistorikerin Elke Frey, bedeutet in Bewegung zu sein und in etwa 90 Minuten an verschiedensten Stationen Halt zu machen. Mit Frau Frey taucht man sowohl in die Geschichte der Orte ein als auch in die aktuelle Entwicklung. Chorleiter Christoph Schlechter verband in seiner Moderation die erzählte Geschichte mit den Worten der Musik.

Treffpunkt 15.00 Uhr, Evangelische Hauptkirche St. Trinitatis. Die Barockkirche wurde von 1742–1743 im damals holsteinischen Altona errichtet und später Teil der ursprünglichen Altstadt Altonas, die 1943 zerstört wurde. Längst ist nicht nur die Kirche wiederaufgebaut, schlichter und mit einem neugestalteten Innenraum, sondern jüngst sind nach jahrelanger Bauzeit mehrere Gebäude fertig geworden, das Trinitatisquartier: Ein Hotel mit einem Angebot für Pilger auf dem Jakobsweg der Via Baltica, ein Wohngebäude für Menschen, die obdachlos waren, eine Kindertagesstätte, und vieles mehr. Dazu gehört das Café Kibbel’s Kitchen, auch ein kommunikativer Treffpunkt. Kibbeln ist Plattdeutsch und bedeutet so viel wie schwätzen, quatschen …

Aber hier geht es ja auch um das Singen. Zur Geschichte dieses Ortes, der dunkle Zeiten erlebt hat, passt „Preis dem Todesüberwinder“, dass wir von Lux Æterna hören, Worte von Friedrich Gottlieb Klopstock, die von Friedrich Silcher vertont wurden.

Wie kam Altona zu seinem Namen? Noch unter der Ägide der Schauenburger Grafen eröffnete um 1536 eine Fischerkneipe in Elbnähe, sie lag etwa zwischen der jetzigen Breiten Straße und Pepermölenbek. Die erfolgreiche Schankwirtschaft war den Hamburgern ein Dorn im Auge und „all to nah“ (allzu nah) an der Grenze zu Hamburg. Möglicherweise kann der Name Altonas aber auch von „all ten au“, also dem Bach „Altenau“ herrühren. Von dem Bach ist nur noch die Geschichte übrig, auch all to nah stimmt nicht mehr. Die Altonaer Geschichte ist wechselvoll, 1938 wird die Selbständigkeit als Stadt beendet und Altona ein Teil Hamburgs.

1912 veröffentlichte Joachim Ringelnatz seine Tiergedichte, von denen eines Altona weit über seine Grenzen hinweg bekannt machte. Es handelt von den beiden Ameisen, denen schon kurz nach Antritt ihrer Reise in Altona die Füße so weh taten und sie es deswegen nie zu ihrem Ziel nach Australien schafften. Von Christoph Schlechter vertont, kamen sie ganz neu und musikalisch beeindruckend und überraschend daher.

An der nächsten Station, im Park und unter alten Bäumen erzählt Elke Frey von verschiedenen geplanten Bebauungsplänen der Nachkriegsjahre. Und tatsächlich stehen wir auf dem Grünzug Neu-Altona, einer nach der Zerstörung entstandenen Landschaftsgestaltung, die vom Fischmarkt bis zur Holstenstraße reicht. Zwischen 80 und 200 Metern breit ist der Grünzug knapp 2 km lang. Eine Oase mitten in der Großstadt.

Von Felix Mendelssohn Bartholdy, 1809 in Hamburg geboren, einem der bedeutendsten Musiker der Romantik, hören wir hier von Lux Æterna das für diesen Ort perfekt passende Lied „Im Grünen“. Wunderschön mit leuchtenden Tönen präsentiert, geht wirklich das Herz auf, wenn es u.a. heißt: „Im Grünen da geht alles gut, was je das Herz bedrückt …“, und das mitten in St. Pauli.

Zu den Neubauten gehört die von Werner Kallmorgen entworfene Hexenberg-Siedlung aus den 70er Jahren, zu der wir jetzt gehen, einem sehr beliebten Wohngebiet. Weiter geht es zum Pepermölenbek, der Verbindung vom Nobistor zum Fischmarkt. Ein Ort voller akustischer Eindrücke, von oben die Möwen, von links die Moveschlager und von rechts meldet sich lautstark der Hafen. Trotzdem ist es ein klösterlicher Ort, im 13. Jahrhundert gab es hier ein Nonnenkloster der Zisterzienser.

Da passt das nächste Lied, „O virtus sapientiae“, das der Benediktiner-Nonne Hildegard von Bingen zugeschrieben wird, buchstäblich an diesen Ort. Es handelt von den drei Adlern der Weisheit und dem Vokalensemble gelingt es, uns an diesem lauten Ort an gregorianische Gesänge denken zu lassen, welch eine Kunst.

Wieder zurück im Grünen, gibt es im Kapitän Schröder Park einen kleinen Gedenkort, ein Anker liegt dort, der an ihn erinnern soll. Kapitän Gustav Schröder, den man auch einen unbekannten Helden Hamburgs nennt. Sein Schiff, die „St. Louis“, sollte 1939 über 900 jüdische Menschen nach Kuba bringen, um sie vor den Verfolgungen der Nazis zu retten. Dort angekommen, wurde ihnen die Einreise verweigert, ebenso wie die Einreise in die USA. Er lieferte die Menschen nicht ihrem Schicksal aus. Nach längerer Irrfahrt gelang es ihm Antwerpen anzulaufen, von wo aus die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht werden konnten.

Es gibt einen weiteren Gedenkort im Park, der von dem Ehepaar Rolf und Marianne Rosowski seit vielen Jahren gehegt und gepflegt wird, und vor dem wir wieder dem Vokalensemble zuhören dürfen. Felicitas Kukuck (1914 – 2001), eine Hamburger Komponistin, überlebte die Judenverfolgung, weil ihre Herkunft nicht bekanntgeworden war. Husum, die graue Stadt am Meer, darüber hat Theodor Storm eines seiner bekanntesten Gedichte geschrieben. Felicitas Kukuck hat es vertont und nun hören wir es, wieder passen Ort und Darbietung perfekt, es ist ein großer Genuss, diese gelungene Kombination so zu erleben.

Ein paar Schritte weiter ist der Pelikanbrunnen, unsere nächste Station. Wir hören von Johann Friedrich Struensee, er lebte im 18. Jhdt. und war 20 Jahre St. Paulis Armenarzt, innovativ und erfolgreich mit neuen Behandlungsformen. 1768 begleitete er den kranken dänischen König Christian VII. nach Kopenhagen und blieb dort als Leibarzt und Berater mit großem Einfluss, der faktisch an Stelle des Königs regierte. Ausgestattet mit einer Generalvollmacht brachte er über 1200 Reformen auf den Weg und schaffte sich so mächtige Feinde am Hofe, die ihre Privilegien gefährdet sahen. Eine heimliche Liaison mit des Königs Gattin Caroline Mathilde sorgte für weiteren gefährlichen Unmut. Am Ende vom Lied gab es seine Festnahme, Verschwörungen und Verhöre und schlussendlich die Verurteilung zu einem grausamen Tod.

Etliche Jahrzehnte später schrieb Johannes Brahms die „Heimliche Liebe“. So hören wir nun wieder ein Stück von einem in Hamburg 1833 geborenen Musiker, Dirigenten und Komponisten und wieder ein so passend ausgesuchtes. Brahms schrieb es für einen a capella Chor und und – könnte man fast denken – genau für das Vokalensemble Lux Æterna. „Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, als heimliche Liebe, von der niemand nicht weiß“, lauten die ersten Zeilen. Auch Johannes Brahms wusste um problematische Liebe.

Unsere letzte Station befindet sich oberhalb des Erinnerungsgartens: Tatsächlich haben wir von vielen Erinnerungen, Geschichten und Hintergründen rund um St. Pauli gehört. Grausames, Trauriges, Schwieriges, Spannendes war dabei, auch viel Neues und Nachdenkenswertes. Und ganz bestimmt bemerkenswert ist das Konzept des musikalischen Stadtspaziergangs, die gelungene Verbindung der beiden Komponenten, ausgewählte Geschichte und dazu passende Lieder.

Die Story von Mary bildete den Abschluss des musikalischen Spaziergangs, ein freches Kleinod aus den 1950er Jahren von Richard Germer und Benno Strand, arrangiert von Christoph Schlechter. Die Sängerinnen und Sänger erzählten mit Stimme und Mimik glaubhaft eine -fast- traurige Geschichte mit einem überraschenden Ende. Nun ist klar, zwischen Altona und Batavia, da fahren weder Busse noch Bahnen. Gut so, denn wäre es anders, so gäbe es dieses Lied nicht.

Und zum guten Schluss kommt der Wunsch nach Fortsetzung der kleinen Tradition, freuen wir uns auf die unbedingt sehens- und hörenswerten kommenden musikalischen Stadtspaziergänge.

Und wer mehr wissen möchte:

Auf der Website des Chores https://ensemble-lux-aeterna.de/ gibt es Aktuelles, Pläne, Hintergrundinformationen und wie es mit dem Mitsingen ausschaut. Zuwachs ist erwünscht, besonders bei den Männerstimmen und im hohen Sopran. Proben finden freitags von 19:00 – 22:00 in Harburg statt. Kontakt siehe: https://ensemble-lux-aeterna.de/chor/mitmachen/ Und ein Blick ins Repertoire gibt es unter https://ensemble-lux-aeterna.de/konzerte/.

Das Chorportal berichtete vor zwei Jahren über den Rundgang in der Neustadt, zum Nachlesen unter https://www.chorportal-hamburg.de/2023/05/15/draussen-singen-das-vokalensemble-lux-aeterna-verbindet-musik-geschichte/

Unter https://www.trinitatis-quartier.de/ finden sich Informationen zum neuen Trinitatisquartier und den Projekten der Evangelischen Kirche. Der Artikel über das Housing first- Projekt, von dem Frau Frey erzählt hatte, erschien bei Hinz&Kunzt https://www.hinzundkunzt.de/hosuing-first-ruediger-trinnitatis-kirche-altona/.
Weitere Informationen zu genannten Personen und Persönlichkeiten:
Felicitas Kukuck: https://www.felicitaskukuck.de/
Kapitän Gustav Schröder: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/unsere_geschichte/Kapitaen-Schroeder-und-die-Irrfahrt-der-St-Louis,sendung740406.html
Friedrich Struensee: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Struensee

Gertrud Krapp

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