Interview

Interview mit Dieter Falk

Vor der Chorleiterschulung für das Pop-Oratorium Luther am 05. Juni 2016 in Hamburg, hatten wir die Gelegenheit, Dieter Falk zum Interview zu treffen.

In dem spannenden Gespräch ging es unter anderem um schräge Akkorde bei Bach, die Herausforderungen für einen Mega-Chor zu komponieren, das Pop-Oratorium Luther und den Effekt und das Gemeinschaftserlebnis eines so großen Chores.

Auch die Ergebnisse unserer Umfrage zum Thema Mega-Chöre wurden zum Thema. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

 

Du hast schon sehr früh angefangen, Musik zu machen. Bereits mit 6 Jahren hast du Klavierunterricht bekommen und im Alter von 11 Jahren mit dem Geigenspiel begonnen. Kommst du aus einer musikalischen Familie?

Meine Mutter war Klavierlehrerin. Dann fängt man natürlich auch relativ früh mit Musik an, erstmal mit Blockflöte, wie alle Kinder, und dann habe ich aber Klavierunterricht bei meiner sehr strengen Tante gehabt. Da bin ich oft heulend nach Hause gekommen, daran erinnere ich mich heute noch. Aber ich habe da viel gelernt.

Und ich habe ganz früh im Chor angefangen. Meine Mutter war auch Chorleiterin. Bei uns in der Kirche hat sie einen gemischten Chor gehabt – einen sehr guten Chor mit 80 Leuten. Ich glaube ich war 8 Jahre alt, da habe ich dort im Sopran gesungen, später dann im Alt und nach dem Stimmbruch im Tenor und im Bass.

Neben Pop-Musik beschäftigst du dich viel mit Kirchenmusik, Chorälen und Bach. Warum?

Als ich damals als Musikproduzent anfing, habe ich natürlich völlig andere Musik gemacht, aber meine Wurzel ist wirklich auch die Kirchenmusik und in der Kirche kommt man natürlich mit Chorälen und Bach in Berührung – auch durch den Klavierunterricht.Und Bach habe ich immer heiß und innig geliebt. Der war eigentlich für mich immer der Hero – das muss ich schon sagen. Wie mutig er war, wie er Chorsätze geschrieben hat, auch Klavierbegleitungen, so schräge Akkorde. Die ersten schrägen Akkorde bevor mir mein Bruder den Jazz nahe brachte, waren eigentlich bei Bach zu finden. Das hat mir super gefallen.

Was bedeutet Musik für dich?

Große Freiheiten. Ich bin ein Verfechter, der Musik nie als ein Gesetz empfunden hat. Bach hat sich damals auch einfach über Gesetze hinweg gesetzt. Damals gab es noch die Stimmführungsregeln. Keine Oktavparallelen und keine Quintparalellen, da hat er sich auch dran gehalten, aber andere Gesetze hat er wirklich gebrochen. Und ich finde, Musik ist einfach eine ganz, ganz große Freiheit, gerade im Improvisieren. Ansonsten ist Musik für mich auch eine wunderschöne Möglichkeit, Kreativität ausleben zu können. Und – auch sehr wichtig für unser Projekt – Musik bringt Menschen aus allen Generationen, aus allen Bildungsschichten zusammen und das sehen wir ja hier beim Luther-Chorprojekt, wo ja bundesweit über 20.000 Leute mitmachen werden. Und das kann nur Musik.

Singen macht glücklich. Stimmt das aus deiner Erfahrung?

Ja klar! Jeder der mal im Chor gesungen hat, der weiß, dass Singen glücklich macht. Du vergisst den Tag, wenn du singst  – beim Chorsingen sowieso. Ich kann mich noch erinnern: Mein Bruder und ich hatten einen Gopelchor gegründet, auch in unserer Kirche, wo dann 50 Teenies und auch Ältere mitgesungen haben. Das war ein Mega-Gefühl. Es war  so ein Gemeinschaftserlebnis. Das waren so die ersten Glücksgefühle damals als Teenager die Leute mit Musik begeistern zu können und zu erleben, dass Leute im Gottesdienst geklatscht haben, was ja nicht üblich war. Damals sowieso nicht und heute ist das auch selten. Das macht einen glücklich wenn die Musik dann ankommt.

Singen ist ja auch die höchste Stufe des Gebets. Ist dir das beim Komponieren für so ein Event bewusst?

Auf jeden Fall ist es ein religiöses Gefühl. Gebet ist für mich natürlich etwas ganz Wichtiges. Ich praktiziere das auch privat als einen „Draht nach oben“. Wenn ich mit Gott mal alleine sein möchte, dann setze ich mich einfach ans Klavier und improvisiere. Das ist meine Art des musikalischen Gebets.

Was muss man bedenken, wenn man für so einen großen Chor komponiert?

Man darf nicht zu kompliziert sein. Wir haben viele Kinder die mitmachen . Wir haben viele, die keine Noten lesen können. Wir haben viele, die einfach Bock darauf haben, in deutscher Sprache Pop-Musik zu singen, die aber keine Chor-Erfahrung haben und wir haben natürlich auch ganz viele Chöre, die auch anspruchsvolle Sachen wie die Matthäus Passion singen. Da muss man einen guten Mittelweg fahren. Man kann es sicherlich nicht jedem recht machen. Man muss aber über Melodien kommen. Es muss catchy sein. Es muss auch einen hohen Spaßfaktor haben, das man schnell ein Erfolgserlebnis beim Proben hat. Und das geht nur, in dem die Musik nicht zu verkopft ist. Es muss aber auch ein paar Stellen haben, die mal tricky sind, damit man auch einen Anreiz hat, das zu schaffen. Aber dann auch Titel, die einfach zu singen sind. Ich glaube, die gute Mischung macht’s. Insgesamt wie gesagt leicht nachsingbar ohne cheesy zu sein, das ist glaube ich ganz wichtig.

Hast du selbst schon mal in einem Chor dieser Größenordnung gesungen?

Nein, das habe ich nicht. Aber ich stelle mich manchmal bei den Hauptproben einfach mal dazwischen und singe dann mit.

Glaubst du, dass Projekte mit Mega-Chören – wie Luther – die Chorszene verändern werden und wenn ja inwieweit?

Ich glaube schon, dass sie einen positiven Aspekt haben. Chöre werden auch größer. Wir haben ja oft erlebt, dass Chöre Probleme mit Männerstimmen haben und die Chöre kleiner werden, weil die zeitlich Belastung da ist. Die Chöre haben ganz wenig Nachwuchs. Und Projekte wie dieses, das haben wir schon beim Vorgängerprojekt erlebt, helfen, dass die Chöre wieder ein bisschen wachsen. Denn viele kommen ja dazu, die gar nicht in Chören singen, die haben aber ein bisschen Lunte gerochen und haben Spaß dran gefunden und suchen jetzt einen Chor und nehmen dann einen aus ihrer Nachbarschaft, der auch hier teilgenommen hat. Das ist schön zu sehen.

Dann glaube ich ganz sicherlich, dass wir einen wesentlich jüngeren Durchschnitt an Mitwirkenden haben, als es die Chorlandschaft normalerweise hat.

Bei unserer Umfrage zum Thema Mega-Chöre haben wir unter anderem gefragt, warum man in einem Mega-Chor mitsingen möchte. 34% der Befragten würden niemals in einem Mega-Chor mitsingen, weil:

  • das Persönliche auf der Strecke bleibt
  • es für den Einzelnen frustrierend ist, weil seine Leistung in der Masse untergeht
  • was Musik und Gesang zu vermitteln haben im Stimmdickicht eines Massenchores versinkt
  • die musikalische Qualität hinter allen anderen Aspekten von Quanität komplett in den Hintergrund tritt
  • es kommerziell ist

Was ist deine Meinung dazu?

Das sind alles Argumente, die mir nicht unbekannt sind. Und ich kann die ersten zwei Sachen auch nachvollziehen.Wenn man gewohnt ist, die Matthäus Passion mit 50 Leuten zu singen, dann ist sowas vielleicht nicht das richtige Projekt. Es sei denn, man möchte einfach mal Pop-Musik machen. Deswegen kann ich das nachvollziehen.

Es geht hier nicht um irgendwelche Guinness-Buch-Rekorde zu brechen. Wenn es nachher 1.500 Sänger und Sängerinnen in Hamburg sind, dann freue ich mich total, dass die mitmachen. Ich weiß, das ist ein großes Opfer für die Leute – zeitlich und auch ein gewisses finanzielles Opfer . Ich habe einen großen Respekt davor, dass die Leute das überhaupt machen. Ich bin selbst Familienvater und weiß wie ein Terminkalender eines Monats aussieht.

Der Effekt eines solchen großen Chores ist ein anderer. Es ist einfach dieses Gemeinschaftserlebnis nochmal anders und es kommt auch über die Inhalte. Das muss ich schon ganz klar sagen. Wir sind wie ein großer Opernchor. Ich sage immer Opernchor, weil wir ja auch ganz viel theatralische Momente haben. Im Stile des Pops erzählen wir eine Geschichte, die eine kulturelle große Bewandtnis hat.

Das Ziel ist, dass dieses Projekt in die Breite geht und das Stück später auch im Kleinen im eigenen Chor mit eigenen Solisten aufgeführt wird. Und der Appetit darauf wird größer, wenn man einmal in so einem großen Chor mitgesungen hat.

Kommerzialität – ja, was ist heutzutage nicht kommerziell. Ich kann nur einfach mal ganz ehrlich sagen: Ich habe an diesem Stück 1 1/2 Jahre gearbeitet. 1 1/2 Jahre, in denen ich keine Platten produzieren kann, in denen ich meine Professur nicht so ausüben kann, wie ich sie normalerweise ausüben würde und, und, und…  Ich kann ganz ehrlich sagen, Michael Kunze und ich machen das nicht aus kommerziellen Erwägungen. Ganz bestimmt nicht. Auch die Creative Kirche verdient sich keine goldene Nase daran, denn dann würden die Tickets nicht € 25,00 – € 50,00 kosten, sondern das Dreifache. Das wollte ich auch schon immer mal loswerden.

Von den in der Umfrage befragten würden 66% gern in einem Mega-Chor mitsingen, weil

  • die Erfahrung reizt, mit so vielen Menschen gemeinsam zu singen (56%)
  • Mega-Chöre in besonderen Locations singen (35%)
  • man interessante Menschen kennenlernt (19%)
  • man auf der Suche nach einem passenden Chor für sich selber ist (3%)

Fallen dir noch weitere Gründe ein, an so einem Projekt teilzunehmen.

Wie ich schon sagte, so eine Geschichte lässt sich mit so einer großen Anzahl von Menschen noch kräftiger erzählen. Wir haben jetzt keine Botschaft in dem Sinne, aber wir erzählen hier eine kulturelle Geschichte, nach der die Welt nicht mehr die gleiche war, wie zuvor. Durch dieses Prinzip des selber Denkens, gelang das sich Freischaufeln von der Autorität der Katholischen Kirche, des Kaisers und der Bänker. Das erzählen wir und diese Botschaft, dass man selber denken soll, auch politisch, wird stärker, wenn man sie mit vielen Leuten erzählt. Das gibt auch ein anderes Signal in der Öffentlichkeit. Das ist für mich ein Argument, das auch noch in die Waagschale fällt.

Was würdest du jemandem sagen, der gern mitsingen würde, aber der Meinung ist, nicht singen zu können?

Also wenn ich jetzt hier 10 Leute aus der Bevölkerung raushole und sage „sing mal was vor“, dann gibt es natürlich ein paar Brummbären dabei Vielleicht sind das zwei von den 10. Aber manchmal nur einer. Also 10-20 % die auch keine Affinität dazu haben und einfach überhaupt keinen Ton treffen. Aber so ein großer Chor verträgt auch ein paar Brummbären. Das Entscheidende ist glaube ich wirklich, dass man einfach Spaß hat. Es singen so viele Leute in der Badewanne oder beim Autofahren die Hits mit, die vielleicht Lust haben, sich in so einem Projekt von einem positiven Virus –  nämlich dem Chorsingen – anstecken zu lassen. Und für diese Leute machen wir das.

Warum sollte man sich für das Pop-Oratorium Luther in Hamburg anmelden?

Wenn man Spaß hat, mit vielen anderen zusammen in einer großen Location, wo man normalerweise die großen Pop-Stars sieht, mit einem großen Orchester, mit vielen Solisten und einer tollen Band eine sehr wichtige kulturelle Geschichte unseres Landes und der Welt zu erzählen und vielleicht den einen oder anderen Single nachher als Ohrwurm mitnimmt, dann sollte man sich anmelden – und vor allen Dingen, wenn man Lust hat aus Hamburg und Umland musikbegeisterte neue Leute kennen zu lernen, mit denen man vielleicht danach zusammen Musik macht.

Tanja Schneider

 

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